Der Lebensmittelhandel und das ernährungsbezogene Wohlergehen

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Erforscht wurde in diesem Projekt, welchen Einfluss der Lebensmitteleinkauf auf das ernährungsbezogene Wohlergehen junger Familien hat, wie Potenziale positiv ausgeschöpft werden können und welche Hürden und Herausforderungen es gibt.
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Ergebnisse des Forschungsprojekts „Förderung des Food Well-Being junger Familien und deren Kinder durch die optimale Gestaltung und Nutzung des Lebensmitteleinkaufs“

Florentine Frentz und Hanna Schramm-Klein

Das ernährungsbezogene Leben junger Familien gestaltet sich oft als schwierig. Insbesondere ein geringes Budget, wenig Zeit und ungewohnte Lebensumstände erschweren die Organisation. Hinzu kommt häufig ein Mangel an Wissen bezüglich einer ausgewogenen Ernährung und deren Umsetzung. Die adipogene Umgebung, zu welcher auch die Lebensmittelgeschäfte zählen, erschwert zudem informierte und überlegte Kauf- und Konsumentscheidungen. Insbesondere im Hinblick auf die voranschreitende Übergewicht- und Adipositas-„Pandemie“ müssen Maßnahmen ergriffen werden, die jungen Familien helfen, von Anfang an ein hohes Food Well-Being (zu Deutsch: ernährungsbezogenes Wohlergehen) zu entwickeln.

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Da der Lebensmitteleinkauf für junge Familien sowohl negative als auch positive Konsequenzen haben kann, wird in diesem Projekt erforscht, welchen Einfluss der Lebensmitteleinkauf momentan auf das ernährungsbezogene Wohlergehen junger Familien hat. Insbesondere wird herausgearbeitet, inwieweit die Potenziale des Lebensmitteleinkaufs momentan positiv mit Blick auf das ernährungsbezogene Wohlergehen ausgeschöpft werden und welche Hürden und Herausforderungen den (ausgewogenen) Lebensmitteleinkauf für junge Familien noch erschweren. Darüber hinaus wird betrachtet, welche Maßnahmen momentan seitens des Einzelhandels, der Hersteller*innen und der Politik im Kontext des Lebensmitteleinkaufs ergriffen werden, um explizit junge Familien zu unterstützen, und welche Maßnahmen in Zukunft noch ergriffen werden können. Diese Zielsetzungen werden mittels einer intensiven Literaturrecherche, 15 Tiefeninterviews mit Expert*innen aus Handel, Dienstleistungssektor, Politik und Forschung sowie darauf aufbauend mit 25 Tiefeninterviews mit Eltern verfolgt.

Zusammenfassung der Forschungsergebnisse

Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit zeigen, dass junge Familien im Lebensmittel-Einzelhandelskontext vulnerable sein können, was sich negativ auf ihr Food Well-Being auswirkt. Die Ursachen dafür liegen in (1) erschwerenden Lebensumständen, (2) mangelndem Hintergrundwissen sowie (3) der Gestaltung des Einzelhandelskontexts.

Die erschwerenden Lebensumstände umfassen alltägliche Probleme, die den Fokus von der Ernährung wegführen, die zur Verfügung stehende Zeit reduzieren und das Budget limitieren. Das fehlende Wissen umfasst Wissen über die ernährungsbezogenen Bedürfnisse einzelner Familienmitglieder, den ernährungs- und umweltbewussten Einkauf, einen optimalen Budgeteinsatz und die Integration des Lebensmitteleinkaufs in die Erziehung. Die Gestaltung des Einzelhandelskontexts umfasst auf der einen Seite Gestaltungsmaßnahmen der Hersteller*innen und Einzelhändler*innen. Dazu gehört beispielsweise die Familienfreundlichkeit des Ladenlayouts sowie die Auswahl, Platzierung, Zusammenstellung, Transparenz und Vermarktung der Produkte. Andererseits bezieht es sich auf Maßnahmen von Politik und Verbraucherschutz, wie die Aufklärung der Konsument*innen und einflussnehmender Stakeholder, und die Etablierung von Regelungen, beispielsweise bezüglich der Vermarktung ungesunder Produkte an Kinder und der Gestaltung von Etiketten.

Zwar zeigt sich bereits eine Verbesserung der Familienfreundlichkeit des Einzelhandels und es muss zudem bedacht werden, dass Einzelhändler*innen eine große Anzahl heterogener Stakeholder und Kundengruppen haben, wodurch sie nicht nur auf das Food Well-Being junger Familien eingehen können, trotzdem gibt es einige Handlungsoptionen.

Handlungsoptionen

Empfehlungen und Hinweise für Einzelhändler*innen

  • Familienorientierte Elemente könnten in die Ladenlayouts integriert werden, z. B. breitere Gänge, niedrigere Regalreihen, Spielecken sowie ein Ort zum Stillen und Windeln wechseln.
  • Es könnten, speziell für Familien angelegte, „Abkürzungen“ durch die Geschäfte eingeführt werden, indem beispielsweise die von Familien meistgekauften Produkte vorne im Geschäft platziert werden.
  • Elemente, die eine Partizipation der Kinder vereinfachen, wie Kindertreppen vor den Frischetheken oder Eltern-Kind-Kassen, könnten integriert werden.
  • Zudem könnten Einzelhändler*innen Informationsmaterialien zu einer ausgewogenen und familiengerechten Ernährung sowie deren Umsetzung im Einzelhandelskontext verteilen.
  • Im Rahmen der Produktpräsentation könnte die gesündere Produktwahl mittels einer entsprechenden Platzierung und Kennzeichnung mehr in den Vordergrund gerückt werden.
  • Darüber hinaus könnten gesunde und nachhaltige Produkte mehr und emotionaler beworben werden. Dadurch könnten Kinder früh lernen, dass auch gesunde Produkte mit positiven Emotionen verknüpft sein können.
  • Im Einklang damit könnte die Werbung für weniger gesunde Produkte, die insbesondere auf Kinder abzielt, reduziert werden.
  • Zudem könnten die Eltern wieder eine größere Rolle als Gatekeeper eingeräumt bekommen, indem sich Werbung vor allem an sie richtet, und nicht direkt an ihre Kinder.

Ansatzpunkte für Hersteller*innen

  • Das Wohlergehen von Mensch, Tier und Umwelt könnte in Herstellungs- und Logistikprozessen mehr Berücksichtigung finden.
  • Produktrezepturen sollten idealerweise einer ausgewogenen Ernährung dienlich sein. Insbesondere für Baby- und (Klein-)Kinder-Produkte wäre eine Entsprechung der altersbedingten Bedürfnisse der Kinder wichtig.
  • Verpackungen sollten nach Möglichkeit aus recyclebaren und nachhaltigen Materialien gefertigt sein und so aufgebaut sein, dass die verwendeten Materialien auch korrekt entsorgt werden können.
  • Inhaltsstoffe sollten auf den Etiketten leicht verständlich präsentiert sein.
  • Hersteller*innen könnten durch zusätzliche Produktinformationen, wie Rezepte und Aufbewahrungstipps, einen Mehrwert liefern.
  • Zudem sollte für Kinderprodukte individuell betrachtet werden, ob bzw. welche Marketingmaßnahmen angemessen sind.

Implikationen für die Politik

  • Eltern könnten gezielter Informationen zu einer familiengerechten Ernährung erhalten. Im Rahmen dieser Aufklärung könnten auch neue Perspektiven vermittelt werden. Insbesondere der Lebensmitteleinkauf als Sozialisationsinstrument sollte dabei Beachtung finden.
  • Ebenfalls sollten Handlungsstrategien vermittelt werden, mit denen eine nachhaltige Ernährung bereits im Einzelhandelskontext umgesetzt werden kann.
  • Zusätzlich könnten Hersteller*innen und Einzelhändler*innen sensibilisiert werden, insbesondere bezüglich der ernährungsbezogenen Bedürfnisse junger Familien und eines nachhaltigen sowie menschen- und umweltfreundlichen Wirtschaftens.
  • Wesentlich ist in diesem Kontext, dass die Sensibilisierung im Zusammenhang mit ökonomischen Entscheidungen zu betrachten ist.
  • Bei jeglicher Aufklärungsarbeit müssen die Adressat*innen über die für sie relevanten Kommunikationskanäle und -instrumente angesprochen werden.
  • Da Eltern aus unterschiedlichsten Gründen zum Teil keine ausreichend informierten Entscheidungen treffen (können), können Regelungen in einigen Feldern als sinnvoll angesehen werden. Ein denkbarer Ansatzpunkt liegt dabei in der Transparenz. Beispielsweise könnte hier mit Label-Kennzeichnungen gearbeitet werden.
  • Zudem stellt sich die Frage, ob möglicherweise an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel überdacht werden sollte.

Ebenfalls kann kritisch reflektiert werden, wie der Trade-off zwischen Einkaufserlebnis und attraktiver Ladengestaltung zur Förderung eines positiven Einkaufserlebnisses auf der einen Seite und dem Verleiten von Verbraucher*innen zu potenziell unreflektiertem und ggf. für sie oder ihr soziales Umfeld schädlichem Verhalten andererseits adressiert werden kann.

Autorinnen: Dr. Florentine Frentz ist wissenschaftliche Referentin beim Referat für „Medizinische Grundsatzfragen, Präventiv-medizinische Aufgaben der gesundheitlichen Aufklärung, Gesundheitsförderung“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) | Prof. Dr. Hanna Schramm-Klein ist Inhaberin der Professur für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing und Handel, und Co-Direktorin des Forschungszentrums für Verbraucherschutz und Verletzliche Verbraucher der Universität Siegen.

Stichworte: Standard-Thesaurus Wirtschaft (STW): Einkaufsverhalten, Ernährungsverhalten, Familie, Kaufentscheidung, Konsumentenverhalten, Lebensmittel, privater Konsum, Produktgestaltung, Produktinformation, Verbraucherpolitik | Thesaurus Sozialwissenschaften (TheSoz): Eltern-Kind-Beziehung, Ernährungsverhalten, Familie, Kaufentscheidung, Konsumentenverhalten, Lebensmittel, Produktgestaltung, Produktkennzeichnung, Verbraucherpolitik, well-being

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24. Heidelberger Ernährungsforum - Food Well-Being

Im Rahmen des 24. Heidelberger Ernährungsforums der Dr. Rainer Wild-Stiftung für gesunde Ernährung stellte Dr. Florentine Frentz das Konzept des Food Well-Being vor.

Dieses Forschungsprojekt wurde durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft (MKW) des Landes Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Kompetenzzentrums Verbraucherforschung (KVF NRW) gefördert. Das KVF NRW war zwischen 2011 und 2020 ein Kooperationsprojekt der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e. V. mit dem Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MULNV) und dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft (MKW) des Landes Nordrhein-Westfalen.

KVF Förderhinweis 2017