Rezension: Neuromarketing und Guerillaexperimente

Der dänische Autor und Marketer Martin Lindstrom stellt in seinem neuen Buch "Brandwashed" die Strategien seines Berufsstandes vor. Dabei popularisiert er Ergebnisse der Verbraucherforschung.

Der dänische Autor und Marketer Martin Lindstrom stellt in seinem neuen Buch "Brandwashed" die Strategien seines Berufsstandes vor. Dabei popularisiert er Ergebnisse der Verbraucherforschung.

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Die manipulative Kraft der Werbung ist bekannt: Zu einer Zeit, als es noch Fernsehspots für Zigaretten gab, war schon Kindern klar: Rauchen ist cool! So mancher bezahlte diese Einschätzung mit den üblichen gesundheitlichen Nebenwirkungen, weshalb die Tabakwerbung schrittweise eingeschränkt wurde. Die Mechanismen des Marketing sind jedoch geblieben: Heute ist es das Smartphone, das einen gewissen Lifestyle verspricht. Diese Kampagnen sind leicht durchschaubar, das nimmt ihnen aber nicht ihre Wirkung. Allerdings sind sie nur die Spitze des Eisbergs, der dänische Autor und Marketer Martin Lindstrom zeigt in seinem Buch "Brandwashed" die restlichen Zweidrittel.

Dabei reicht die Palette vom Einsatz von verkauffördernden Düften und Musik, über die Packungsgestaltung und die Farbgebung von Produkten, bis hin zu ausgefeilten Methoden des Data-Mining, um Kundenprofile zu erstellen und Werbung zu personalisieren. Martin Lindstrom und sein "Ghostwriter" Peter Smith schildern diese Mechanismen eloquent. Im Gegensatz zur offensichtlichen Werbung wirken die Strategien dieses Neuromarketings verdeckt. Können Verbraucherinnen und Verbraucher plakativen Botschaften noch durch ihren Verstand erfassen und durchschauen, haben sie bei den von Lindstrom geschilderten Mechanismen kaum eine Chance. Anhand von Forschungsergebnissen aus den einschlägigen Fachzeitschriften - wie dem "Journal of Consumer Behaviour" oder dem "Journal of Consumer Research" - zeigt er die Wirkungsweise des modernen Marketings und ergänzt sie durch seine eigenen, aus der beruflichen Praxis gewonnenen Erkenntnisse. Es gelingt ihm, die Befunde der Verbraucherforschung zu popularisieren, ohne dabei oberflächlich zu wirken.

Eine wichtige Einsicht aus dieser Rezeption ist aber, dass der "einflussreichste geheime Verführer [...] nicht der Fernseher oder das Supermarktregal" ist "und er lauert auch nicht in Ihrem Smartphone. Der allergrößte Brandwashing-Effekt, der praktisch in jedem wachen Moment gänzlich unbemerkt auf Sie ausgeübt wird, kommt von Ihren Freunden und Nachbarn." Dies hat auch die Werbewirtschaft erkannt: So schildert der Autor die Aktivitäten der "Girls Intelligence Agency" (GIA), die ihren ungefähr 40 000 minderjährigen Markenbotschafterinnen Übernachtungspartys ausrichtet, bei denen sie elf Freundinnen mit Gratisproben versorgen können.

Ein weiteres Beispiel für die Wirkung der Peer­group liefert Lindstrom: Er selbst wurde an einer australischen Tankstelle von einem Mann angesprochen, der behauptete, das gleiche Modell in der Garage zu haben, das mit Super Plus wesentlich besser laufe: "Sie glauben gar nicht, was das für einen Unterschied macht bei der Leistung - wirklich unglaublich." Der Autor nahm den Tipp dankbar an, bis er ein paar Monate später merkte, dass der gleiche Mann anderen Kunden, mit anderen Autos, den gleichen Tipp gab - der Marketer war auf verdecktes Marketing reingefallen und änderte prompt seine Tankgewohnheiten.

Diese Mechanismen wollte Lindstrom, inspiriert durch den Film "The Joneses", in einem Guerilla-Marketing-Experiment testen: Er castete die Familie Morgenson und ließ sie in eine kalifornische Kleinstadt ziehen. Sie sollten dort Freunde und Nachbarn überreden, bestimmte Produkte zu kaufen. Die Auswirkungen zeigten sich rasch, aufgrund der Mundpropaganda konsumierten die Testpersonen tatsächlich die Marken, die ihnen von der freundlichen Vorzeigefamilie Morgenson empfohlen wurden. Und auch die Familie selbst änderte ihr Verhalten nach dem Ende der Dreharbeiten, sie kauften "sechs von zehn Marken, die sie einen Monat lang beworben hatten".

Ein derartiges Experiment, das drei Millionen US-Dollar kostete, kann sicher kein Beispiel für die Verbraucherforschung sein, doch die Reichweite und die Auswirkungen von Mundpropaganda, Guerilla Marketing (Der Spiegel, 10.01.2010) oder Astroturfing (Die Zeit, 08.03.2011) zu untersuchen, ist eine wichtige Aufgabe der Verbraucherforschung, zumal die Kundenbewertungen als Kaufentscheidungshilfen im Internethandel von Bedeutung und, wie erst jüngst deutlich wurde, auch für Manipulation anfällig sind (Der Spiegel, 30.04.2012).

(Dr. Christian Bala)

Bibliographische Angaben
Lindstrom, M., 2012. Brandwashed. Was du kaufst, bestimmen die anderen. Frankfurt/Main, New York: Campus (ISBN 978-3-593-39619-4, 378 Seiten, 24,99 Euro).