Ergebnisse des Forschungsprojekts „Kosten strukturierter Finanzprodukte im Lichte des Anlegerschutzes: Wie verstehen und berücksichtigen Kleinanleger Bankeninformationen in Verkaufsprospekten?“
Rainer Baule und Patrick Münchhalfen
Nach EU-Recht müssen Banken seit 2018 Kleinanlegern standardisierte Basisinformationsblätter für strukturierte Anlageprodukte zur Verfügung stellen, in denen unter anderem die aus Anlegersicht entstehenden Kosten offenzulegen sind. Unsere Studie zeigt, dass diese Kosten ein wesentlicher Faktor bei der Anlageentscheidung sind. Daneben ist insbesondere für erfahrene Anleger die Produktstruktur von Bedeutung, während die Bank und der ebenfalls vorgeschriebene Risikoindikator weniger relevant sind.
Einleitung
Strukturierte Finanzprodukte sind Geldanlageobjekte, deren Rückzahlung von der Wertentwicklung eines oder mehrerer Basiswerte(s) wie etwa Aktien, Währungen oder Rohstoffe abhängt. Insbesondere in Deutschland werden derartige Produkte häufig unter dem Begriff „Zertifikate“ explizit für kleine private Anleger angeboten und erfreuen sich großer Beliebtheit. Dabei stehen das Marktsegment als Ganzes und die Anbietenden mehrerer Banken immer wieder in der Kritik insbesondere von Verbraucherschützern. Kritisiert werden die für Privatanleger teilweise kaum durchschaubare Komplexität der Produkte, die undurchsichtige Preisstellung und Kostenstruktur sowie mangelhafte bis hin zu irreführender Information in Verkaufsprospekten und Angebotsbroschüren. In den letzten Jahren haben daher nationale und internationale Regulatoren vermehrt Vorschriften bezüglich einer standardisierten und transparenten Darstellung von Informationen bei strukturierten Finanzprodukten mit besonderem Schwerpunkt auf der Kostenstruktur erlassen.
Inwieweit solche Standardisierungen und Regulierungen von Verbraucherinformationen die gewünschte Wirkung erzielen – nämlich ein Bewusstsein für (auch versteckte) Kosten zu schaffen, Produkte verständlicher und vergleichbarer zu machen und so eine fundierte Anlageentscheidung zu begünstigen, hängt entscheidend davon ab, wie die Informationen vom potenziellen Anleger wahrgenommen werden. Wir haben uns in einem Forschungsprojekt dieser Thematik mit einer Fokussierung auf die Kostenstruktur gewidmet. Eine Kostentransparenz war ein wesentliches Element der zu Beginn des Jahres EU-weit in Kraft getretenen sogenannten PRIIPs-Verordnung, welche die Standardisierung von Verbraucherinformationen durch Einführung eines Basisinformationsblattes für eine Vielzahl von Anlageprodukten zum Ziel hatte. Im Rahmen des Projekts wurde untersucht, inwieweit potenzielle Kleinanleger auf die diesbezüglichen Informationen in den Produktinformationsblättern reagieren und ob die bestehende Regulierung, im Sinne des Verbraucherschutzes, die Transparenz erhöht und somit Vorteile für private Investoren bietet. Die Forschungsfragen lauteten:
- Nehmen Anleger die im Basisinformationsblatt offengelegten impliziten Kosten wahr und beeinflussen diese ihre Anlageentscheidung?
- An welchen (weiteren) Kriterien orientieren sich Anleger beim Kauf von Zertifikaten?
Studiendesign und Ergebnisse
Ziel der Studie war es, die Präferenzen von Privatanlegern anhand von Wahlsituationen zwischen verschiedenen Zertifikaten zu ermitteln, wobei wir uns aus Gründen der Komplexitätsreduktion auf eine beliebte Unterklasse, die Discountzertifikate, fokussiert haben. Hierzu haben wir eine experimentelle Untersuchung durchgeführt, innerhalb derer die Teilnehmer anhand von vereinfachten Basisinformationsblättern eine Auswahl treffen konnten. Alle diese Informationsblätter hatten die gleiche Struktur und unterschieden sich in vier relevanten Merkmalen:
- die Struktur des Produktes;
- der Risikoindikator als Pflichtangabe im Basisinformationsblatt;
- die Kosten, ausgedrückt in Prozent des Anlagebetrags;
- die anbietende Bank.
Jeder Teilnehmer erhielt zehn verschiedene Auswahlsets, d. h. Paare von Basisinformationsblättern zu Zertifikaten, zur Auswahl. Die Präferenzen wurden mit einer auswahlwahlbasierten Conjoint-Analyse ausgewertet.
Den Ergebnissen zufolge sind die Kosten mit einer relativen Wichtigkeit von 54 Prozent der bedeutendste Faktor für die Auswahl eines Produktes. Die erste Forschungsfrage ist daher mit einem klaren Ja zu beantworten. Zur Beantwortung der zweiten Frage tritt zutage, dass die Produktstruktur mit einem Wert von 35 Prozent ebenfalls eine hohe Bedeutung aufweist. Weniger wichtig sind der Risikoindikator und die Bank mit Werten von 7 bzw. 4 Prozent.
Weitere Detailanalysen zeigen, dass die Bedeutung der Kosten mit der Expertise der Teilnehmer zugunsten der Produktstruktur abnimmt: Weniger erfahrene Anleger orientieren sich stärker an den im Basisinformationsblatt ausgewiesenen Kosten. Ferner nimmt für diese Gruppe auch die relative Wichtigkeit des Risikoindikators zu.
Handlungsempfehlungen
Die Einführung eines vereinheitlichten Basisinformationsblattes ist grundsätzlich zu begrüßen. Da gemäß unserer Studie die Kosten den wichtigsten Faktor bei der Produktwahl von Kleinanlegern darstellen, ist eine entsprechende Transparenz aus Sicht des Verbraucherschutzes von hoher Relevanz. Dabei ist es jedoch unerlässlich, dass diese Kosten zwischen den Emittenten vergleichbar sind. Die Definition der Kosten in der PRIIPs-Verordnung ist nicht gänzlich eindeutig. Angesichts der Bedeutung der Kosten für die Anleger wird dringend empfohlen, die Kostendefinition klarer zu fassen.
Wie unsere Analyse zeigt, ist zudem der Risikoindikator als weiteres Kernelement der Basisinformationsblätter insbesondere für weniger erfahrene Anleger relevant, wenn auch nicht so stark wie der Kostenausweis. Es gibt jedoch weitaus komplexere Instrumente als die in unserem Experiment betrachteten Zertifikate. Als eine angenommene Verallgemeinerung unserer Ergebnisse könnte der Risikoindikator an Bedeutung gewinnen, wenn die Risiko-Rendite-Struktur eines Produktes weniger klar ist. Daher wird empfohlen, diesen Indikator weiterhin als integralen Bestandteil des Basisinformationsblatts auszuweisen. Da seine Berechnung im Detail geregelt ist, sollten keine Probleme der Vergleichbarkeit oder Verzerrung auftreten.
Schließlich haben wir festgestellt, dass die Struktur eines Produktes von höherer Wichtigkeit für die Anlageentscheidung ist, wenn sich die Anleger im Vorfeld näher mit dieser Struktur beschäftigen. Wir interpretieren diesen Befund so, dass hierüber ein höheres Bewusstsein für die Produkteigenschaften und letztlich ein besseres Produktverständnis erzielt wird. Generell führt eine bessere Information zu einer besseren Entscheidung. Aufsicht und Verbraucherschutz sollten daher weitere Anstrengungen unternehmen, um das Verständnis der Produkte zu erhöhen und so Fehlinvestitionen von Kleinanlegern zu verhindern. Im Rahmen der aktuellen Basisinformationsblätter könnte neben der einleitenden Produkterklärung ein möglicher Weg eine Verbesserung der Darstellung von Performance-Szenarien sein.
Autoren: Prof. Dr. Rainer Baule; Professur für Bank- und Finanzwirtschaft der FernUniversität in Hagen | Patrick Münchhalfen; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bank- und Finanzwirtschaft der FernUniversität in Hagen
Förderhinweis: Dieses Forschungsprojekt wurde durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft (MKW) des Landes Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Kompetenzzentrums Verbraucherforschung (KVF NRW) gefördert. Das KVF NRW ist ein Kooperationsprojekt der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e. V. mit dem Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (MULNV) und dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft (MKW) des Landes Nordrhein-Westfalen.
Stichworte: Standard-Thesaurus Wirtschaft (STW): Derivat, Finanzprodukt, Investitionsrisiko, Kapitalanlage, Regulierung, strukturiertes Produkt, Transparenz, Verbraucherinformation | Thesaurus Sozialwissenschaften (TheSoz): Finanzderivat, Geldanlage, Kapitalanlage, Kostenvergleich, Regulierung, Risikoabschätzung, Transparenz, Verbraucherinformation, Zertifikat
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