Vier junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Siegen und Bonn wurden mit den Nachwuchsförderpreisen 2013 des Kompetenzzentrums Verbraucherforschung NRW (KVF NRW) ausgezeichnet: Ihre Forschungsbeiträge über praxisrelevante Verbraucherthemen hatten etwa den Informationsbedarf von Verbrauchern bei Nahrungsergänzungsmitteln oder die Moralität des Konsums von Lebensmitteln im Blick. Aber auch für die Untersuchung alternativer Waschverfahren oder für eine Fallstudie zur Bilanzierung des Energieverbrauchs bei internetfähigen Fernsehern wurden Förderpreise zwischen 2.000 und 5.000 Euro vergeben. Die Laudationes, die hier in Auszügen veröffentlicht werden, hielt Professor Prof. Dr. Jan Jarre (Fachhochschule Münster), Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e. V.
Mit der Vergabe des Preisgeldes von insgesamt 9.500 Euro möchten die Projektpartner des KVF NRW - das NRW-Wissenschaftsministerium, das NRW-Verbraucherschutzministerium und die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen - den Nachwuchs in der Verbraucherforschung auch bei künftigen Forschungsvorhaben unterstützen.
Anlässlich der Verleihung im Rahmen des 6. NRW-Workshops Verbraucherforschung am 24. März 2014 sagte die Abteilungsleiterin "Forschung und Technologie" im Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung (MIWF) des Landes Nordrhein-Westfalen Dr. Beate Wieland, dass die Preise "ein Zeichen der Wertschätzung und der Anerkennung für die herausragenden Leistungen auf dem Feld der Verbraucherforschung" seien. Dies solle "Ansporn sein, den eingeschlagenen Pfad weiter zu beschreiten".
Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale NRW, ergänzte: "Die Vielfalt und Qualität aller eingereichten Arbeiten zeigt, dass die Verbraucherforschung ein Thema für den Nachwuchs ist und dass die Projektpartner mit dem KVF NRW das richtige Instrument gewählt haben, um dieses zukunftsträchtige Feld zu stärken."
Bachelor: Aline Augsburg (Universität Bonn) | Untersuchung alternativer Waschverfahren
Beginnen möchte ich mit der ausgezeichneten Bachelor-Arbeit von Frau Aline Augsburg. Wir sehen hier ihr Thema: Kurz, klar und schnörkellos!Wie die ganze Arbeit. Worum geht es? Es geht konkret um die Analyse und Bewertung alternativer Waschverfahren bei der Wäschepflege in privaten Haushalten. Eine ausgesprochen alltagspraktische und haushaltswissenschaftliche Fragestellung.
Frau Augsburg testete traditionelle Waschmittel im Vergleich zu typischen Waschmittelalternativen wie sogenannten Waschnüssen, verschiedenen Waschbällen oder –kugeln sowie einem Seifenkrautwaschmittel. Vergleichskriterium war die Waschwirkung konkretisiert in der Entfernung standardisierter Flecken aus Wäschestücken.
Methodisch wurde viel Wert darauf gelegt, die Normbedingungen möglichst verbrauchernah zu gestalten, so wurde eine handelsübliche Waschmaschine verwendet und gewaschen wurde einheitlich mit drei Kilo Wäsche. Die Waschergebnisse wurden als Aufhellung der Verschmutzungen spektro-photometrisch ausgewertet und im Vergleich zu Waschergebnissen interpretiert, die unter gleichen Bedingungen, aber nur unter Verwendung von klarem Wasser erreicht wurden.
Die Arbeit überzeugt methodisch durch den Einsatz sehr aufwendiger Messverfahren. So wurden neben den nach DIN-Norm zu verwendenden Schmutzteststreifen noch 10 zusätzliche frische Verschmutzungen eingesetzt von Blaubeersaft bis zu frischem Gras. Gleichwohl weist die Autorin selbstkritisch darauf hin, dass zur weiteren Absicherung ihrer Ergebnisse noch einige Wiederholungsmessungen durchgeführt werden sollten.
Frau Augsburg formuliert ihre Ergebnisse insgesamt erfrischend klar und ohne großes „Wenn und Aber“. Eine der Gutachterinnen lobt das Resümee der Autorin als - Zitat- „angenehm politicalincorrect“.
Zwei Originalzitate für Sie: „Die alternativen Waschverfahren erbringen eine deutlich schlechtere Reinigungsleistung als Waschmittel.“
Und weiter:
„Die Werbeaussagen der Hersteller von Waschmittelalternativen sind nichts als Schönfärberei; der Verbraucher wird damit hinters Licht geführt; er gibt Geld für ein Produkt aus, das kaum eine Wirkung hat.“
Wenn das keine klare Aussage für die Verbraucherberatung ist.
Diplom - Master - Staatsexamen: Sonja Böttcher-Thielemann (Universität Bonn) | Informationsbedarf von Verbrauchern im Hinblick auf Nahrungsergänzungsmittel. Eine inhaltsanalytische Untersuchung am Beispiel des Internetforums www.was-wir-essen.de
Als nächstes steht die prämierte Arbeit von Frau Sonja Böttcher-Thielemann auf der Tagesordnung. Hier finden wir – wie Sie sehen- zunächst einmal einen deutlich längeren Titel. Es handelt sich ja auch um eine Diplomarbeit.
Inhaltlich geht es darum, den Informationsbedarf von Verbraucherinnen und Verbrauchern zum Thema „Nahrungsergänzungsmittel“ zu untersuchen und zwar am Beispiel des AID-Internetforums „Was –wir - essen-.de“.
Methodisch bedeutet das fast zwangsläufig, sich des komplexen inhaltsanalytischen Forschungsinstrumentariums zu bedienen. Die Autorin arbeitet dabei hoch professionell. So entwickelte sie für diesen Teil der Arbeit einen Such-Algorithmus, um aus über 26 000 Einträgen im Netz die relevanten Fragen zu Nahrungsergänzungsmitteln zu identifizieren. 350 einschlägige Verbraucherfragen wurden herausgefiltert und bildeten die Basis für die inhaltsanalytische Untersuchung.
Die Autorin betont zu Beginn ihrer Arbeit, dass der steigende Konsum von Nahrungsergänzungsmitteln durch die deutsche Bevölkerung eines deutlich macht: Die in unserer Gesellschaft häufig verkündete Aussage: Nahrungsergänzungsmittel sind für den Normalverbraucher überflüssig! diese Aussage wird von den Menschen offenbar noch nicht in der erhofften Form angenommen.
Die Arbeit von Frau Böttcher zeigt: Von Verbrauchern werden die Produkte häufig aus Unsicherheit über die eigene Versorgungssituation mit Nährstoffen und teils mit völlig überzogenen Hoffnungen auf die Verhütung oder gar die Therapie von Krankheiten zu sich genommen.
Mit Hilfe der Inhaltsanalyse konnte die Autorin belegen, dass die Fragestellerinnen und Fragesteller des Internetforums was-wir –essen.de eine starke Verunsicherung bezüglich des Nutzens einer Nahrungsergänzung empfanden. Weiter wurde deutlich, dass VerbraucherInnen an diesem Thema sehr interessiert sind, jedoch große Schwierigkeiten haben, vertrauenswürdige Informationen zu finden. Dies ist ein klarer Hinweis für die Verbraucherberatung, sich bei diesem Thema noch mehr als bisher inhaltlich zu engagieren.
Die Arbeit von Frau Böttcher-Thielemann – ich zitiere aus einem der Gutachten- überzeugt sowohl in Hinblick auf ihre hohe methodische Qualität als auch bezogen auf ihre thematische Relevanz und Aktualität für die Verbraucherforschung. Dieser Einschätzung einer Gutachterin kann ich meinerseits nur noch ein dickes Ausrufungszeichen hinzufügen.
Diplom - Master - Staatsexamen: Timo Jakobi (Universität Siegen): Integrierte Heim Energie Monitoringsysteme (HEMS) für iTV: Eine LivingLab basierte Design- Fallstudie
Mit seiner Masterarbeit wendet sich Herr Timo Jakobi den sogenannten Integrierten Heim Energie Monitoringsystemen zu.
Die Arbeit stellt dabei die in unserer Zeit wichtige Frage, wie sich Entscheidungen über den privaten Energiekonsum beim Normalverbraucher optimieren lassen. Als Instrument hierzu wird das „Smart Metering“, also die Nutzung eines intelligenten Stromzählers, analysiert. Ein intelligenter Stromzähler kann die eigenen Verhaltensspuren des häuslichen Stromverbrauchs sichtbar machen und auf dieser Basis die Verbraucher quasi einladen, Verhaltensanpassungen in Richtung „Stromsparen“ einzuleiten.
Die wesentliche Forschungsfrage lautet: Welche Rahmenbedingungen und welche konkreten Ausgestaltungen eines Energiemonitorings sind erforderlich, um Verbrauchern mit Hilfe aufbereiteter Informationen überzeugende Hinweise oder auch Anreize zu liefern, ihr Verbrauchsverhalten tatsächlich zu verändern?
Offenbar gibt es bei den vorhandenen Systemen für Haushalte –wie der Autor darlegt –derzeit noch erhebliche Schwächen. Normalnutzer werden mit Blick auf ihre technischen Kenntnisse und Möglichkeiten regelmäßig überfordert. Den dargestellten Verbrauchsdaten fehlen praktikable Interpretationshilfen, aus denen sich umsetzbare Handlungsempfehlungen ableiten lassen.
Methodisch nutzt Herr Jakobi in seiner Arbeit den Ansatz des sogenannten „Living Lab“. Das ist nichts anderes als aktive Feldforschung vor Ort in privaten Haushalten. In der Alltagsumgebung der Anwender wurden vom Autor Smart Meter installiert und die Erfahrungen der in diesem Fall acht Haushalte über umfangreiche Interviews erhoben.
Nach den Erfahrungen im „Living Lab“ sind beim Smart Metering vorrangig sehr zeitnahe Rückmeldungen über die Energieverbräuche erwünscht. Weiter sollten auch historische Analysen einzelner Geräte möglich sein und –wo immer es geht- Interpretationshilfen integriert werden. Die Daten sollten zudem jederzeit über mobile Endgeräte abrufbar sein.
Die Arbeit von Herrn Jakobi stellt einen sehr gelungenen Beitrag zur Steigerung der sozialen Akzeptanz und zur besseren Nutzung von Visualisierungen des Energieverbrauchs durch die VerbraucherInnen dar.
Dissertation: Dr. Jonas Grauel (Universität Siegen) | Gesundheit, Genuss und gutes Gewissen - Die alltägliche Moralität des Konsums von Lebensmitteln
Die ausgezeichnete Dissertation von Herrn Dr. Jonas Grauel befasst sich mit der Frage nach der Moral im Lebensalltag am Beispiel des Lebensmittelkonsums.
Die Arbeit und ihre Ergebnisse basieren auf der Auswertung von 25 umfangreichen qualitativen Interviews mit Konsumentinnen und Konsumenten. Methodisch verdient die Arbeit nach Meinung aller Gutachter höchstes Lob und überzeugt in jeder Hinsicht. Dieser Bewertung schließe ich mich uneingeschränkt an.
Inhaltlich kommt Herr Grauel auf der Basis der Interviews zu folgenden zentralen Ergebnissen:
- Die Konsummoral in modernen Gesellschaften ist ausgesprochen pluralistisch strukturiert.
- Konsummoral wird dabei häufig im nahen sozialen Umfeld (z.B. in Familien) konstruiert und ausgehandelt.
- Wissen und Reflexivität rund um „nachhaltigen Konsum“ führen keineswegs bereits automatisch zu einer bewussteren und „besseren“ Konsumpraxis. Alltagspraktische Gegebenheiten und Routinen oder auch vorgegebene Zeitstrukturen sind meist bedeutsamer.
- Es bedeutet für den Normalverbraucher schon recht viel, den eigenen Alltag überhaupt einigermaßen erfolgreich zu bewältigen. Ob eine Handlung dann außerdem noch moralisch „gut“ genannt werden kann, ist für die Menschen meist weniger relevant.
- Der eigene Lebensmittelkonsum wird von den befragten Personen häufig im Kontext sozialer Ungleichheit eingeordnet. Der Konsum statushöherer wie statusniedriger Gruppen wird dabei oft mit moralischen Wertungen verknüpft und im Vergleich als weniger „richtig“ bewertet.
Lassen sich nun aus diesen Ergebnissen auch verbraucherpolitische Konsequenzen ableiten? Der Autor kommt im Anschluss an seine Arbeit zu folgenden Empfehlungen:
- Verbraucherpolitische Kampagnen sollten auf moralische Appelle verzichten.
- Nachhaltiger Lebensmittelkonsum gelingt dann für Normalverbraucher am besten, wenn die entsprechenden Handlungen einfach und bequem in das komplexe Geflecht vielfältiger Alltagsroutinen eingebunden werden können.
Oder anders formuliert:Das menschliche Eigeninteresse an nachhaltiger Ernährung muss zuallererst für den einzelnen Menschen spürbar gestärkt werden.
Vielleicht - um es abschließend etwas humorig zu formulieren - vielleicht kann ja das Eigeninteresse durch eine noch zu schaffende Einspeisevergütung für nachhaltige Lebensmittel gestärkt werden. Im Bereich der Nahrung ist der Begriff „Einspeisevergütung“ doch irgendwie viel verständlicher und angemessener,aber sicher genau so wirksam wie im Energiebereich.