Für Doktorarbeiten, die sich mit der Wahrung der Privatsphäre im Cloud Computing und den Rechten der Verbraucher bei Rücktritt und Widerruf befassen, wurden am 25. November 2019 im Rahmen des 15. Workshops Verbraucherforschung zwei junge Wissenschaftler ausgezeichnet. Der jeweils mit 5.000 Euro dotierte Nachwuchsförderpreis Verbraucherforschung NRW 2019 ging an Dr. Jonas David Brinkmann (Universität Bielefeld) und Dr. Martin Henze (RWTH Aachen). Die Laudationes hielt Professorin Dr. Caroline Meller-Hannich, Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozess- und Handelsrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die Posterpräsentationen der Arbeiten stehen auf dieser Seite zum Download zur Verfügung.
Laudationes von Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich
Der Wissenschaftliche Beirat des Komptenzzentrums Verbraucherforschung (KVF NRW) begutachtetet jedes Jahr eine große Anzahl von Abschlussarbeiten und Dissertationen aus einer Vielzahl von Fachdisziplinen. Wir selbst sind eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Natur- und Geisteswissenschaften, den Wirtschaftswissenschaften und der Rechtswissenschaft. Nicht nur bei unserem heutigen Workshop, sondern auch bei der Arbeitsweise unseres Beirats und bei den eingereichten Abschlussarbeiten zeigt sich, dass die Verbraucherforschung eine Querschnittmaterie ist – eine Vielzahl von wissenschaftlichen, theoretischen wie anwendungsorientierten Ansätzen finden zusammen, ja müssen zusammenfinden, damit Verbraucherforschung gelingen kann.
Die Preise werden verliehen an den Juristen Dr. Jonas David Brinkmann für seine Bielefelder Dissertation mit dem Thema "Rücktritt und verbraucherschützender Widerruf" sowie an den Informatiker Dr. Martin Henze für seine Dissertation an der RWTH Aachen mit dem Thema "Accounting for Privacy in the Cloud Computing Landscape".
Dr. Jonas David Brinkmann (Universität Bielefeld) | Rücktritt und verbraucherschützender Widerruf: Zur Entkopplung der Rechtsfolgen im Rahmen des Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie
Wenn ein Verbraucher einen Kreditvertrag abschließt, ein Haustürgeschäft oder einen Vertrag im Fernabsatz vereinbart, kann er diesen Vertrag widerrufen. Das ist soweit bekannt. Und so sehen es das Europäische und das nationale deutsche Recht vor.
Jonas David Brinkmann hat sich in seiner Dissertation vorgenommen, diese Widerrufsrechte des Verbrauchers auf nationaler Ebene zu systematisieren. Insbesondere stellt er die Frage, ob diese Rechte einer Sonderregelung bedürfen, oder ob sie in das System des Rücktritts nach dem deutschen Zivilrecht eingeordnet werden können und sollen. Thema ist also die angemessene und dem Sinn und Zweck des Widerrufs am besten entsprechende Umsetzung europäischen Rechts in die nationale Rechtsordnung. Nach akribischer Analyse sowohl des im bürgerlichen Recht vorgesehenen Rücktrittsrechts als auch der verschiedenen verbraucherschützenden Widerrufsrechte entscheidet Brinkmann sich für das Modell der Sonderregelung, das heißt der Entkopplung von Widerrufs- und Rücktrittsrecht. Er folgt damit dem deutschen Gesetzgeber, der 2013 die Verbraucherrechterichtlinie umzusetzen hatte und das Verbraucherwiderrufsrecht 2014 separat in ein eigenständiges Reglement überführte – eine Entscheidung gegen Tendenzen gegen Anfang des Jahrtausends, die das Verbraucherrecht möglichst bruchlos in das Bürgerliche Recht einordnen wollten und vielleicht eine Rückkehr in die 1980er-Jahre, in denen das Verbraucherrecht als Sonderprivatrecht angesehen wurde. Welcher hier der richtige Weg ist, darüber kann man trefflich streiten. Herr Brinkmann widerlegt die entsprechenden Gegenansichten mit Vehemenz und sein Analyseergebnis wird durch die aktuelle Gesetzgebung bestätigt. Und sein Argument, beim bürgerlich-rechtlichen Rücktritt gehe es eher darum, dass ein Vertrag nicht so durchgeführt worden sei, wie es die Parteien zunächst beabsichtigt haben, beim Widerruf hingegen um die Lösung von einem unerwünschten Vertrag, lässt sich ja auch hören.
Beeindruckt hat die Jury insbesondere, mit welcher Genauigkeit und Akribie, gleichzeitig aber Klarheit und Entschlussfreude Herr Brinkmann seine Analyse durchgeführt hat. Er hat eine klare Forschungsfrage gestellt und diese über mehr als 500 Seiten stringent bearbeitet und beantwortet. Es handelt sich um die erste Arbeit seit der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie, die sich dieser Thematik umfassend angenommen hat. Ein innovatives, manches dicke Brett bohrendes Werk, das die Jurymitglieder - gleich ob Juristen oder nicht - sehr beeindruckt hat.
Dr. Martin Henze (RWTH Aachen) | Accounting for Privacy in the Cloud Computing Landscape
Herr Martin Henze befasst sich in seiner Dissertation "Accounting for Privacy in the Cloud Computing Landscape" mit dem Schutz und der Gewährleistung der Privatsphäre im Cloud Computing. Cloud Computing beinhaltet die zentralisierte und konzentrierte Verarbeitung von Daten von Millionen oder Milliarden Nutzern. Den Nutzern fehlt dabei größtenteils das Bewusstsein und die Erkenntnis, wo und wie die Daten verarbeitet werden. Eine erste wichtige Erkenntnis der Arbeit ist, dass sie dieses Bewusstsein auch gar nicht haben können. Oft verbirgt sich eine Cloud-Nutzung nämlich hinter einer Anwendung, ohne dass der Nutzer dies weiß. Herr Henze zeigt darüber hinaus, dass Cloud-Infrastrukturen eine mehrschichtige Architektur haben, und den Nutzern vielleicht noch ihr direkter Anbieter bekannt ist, der aber seine Dienste auf der Basis zahlreicher weiterer Anbieter realisiert, z. B. Daten ohne Wissen der Kunden in anderen Ländern speichert. Welche Daten Infrastrukturanbieter, andere Benutzer und Diensteanbieter verarbeiten, dies zu erkennen und zu kontrollieren, ist dem Nutzer mangels Zugang nicht möglich. Schon hier wird ein weiteres zentrales Ergebnis der Arbeit deutlich, dass nämlich der Nutzer allein nicht in der Lage ist, den Schutz seiner Privatsphäre zu realisieren. Der Autor entwickelt dann zwei Analyseprogramme, dh Werkzeuge, die zunächst einmal dazu beitragen, dass der Nutzer verborgene Cloud Nutzung sehen kann. Dabei wird deutlich, dass die alltägliche E-Mail-Nutzung heute schon zu etwa einem Viertel über Cloud Dienste realisiert wird, bei Smartphone-Anwendungen sind es 90 Prozent, die Cloud Dienste nutzen.
Sein Ansatz zum Schutz der Privatsphäre ist folglich ein kooperativer, das heißt ein solcher, der auf ein Zusammenwirken von Diensteanbieter, Infrastrukturanbieter, Nutzer und Gesetzgeber abstellt. Dafür macht er auch zwei ganz konkrete Vorschläge. Zum einen eine transparente Datenverarbeitungsschicht, die zwischen die Cloud-Speichersysteme und den Nutzer geschaltet wird und es dem Nutzer ermöglicht, Anforderungen an die Datenverarbeitung zu stellen und den Anbietern, diese zu erfüllen. Zum andren stellt er klar, dass für viele Cloud Dienste gar keine zentrale konzentriere Verarbeitung notwendig ist, sondern ein dezentrales, kooperatives Peer-to-Peer-Netzwerk genügt. Seine Analysewerkzeuge hat er im Übrigen umfassend mittels Prototypen evaluiert.
Die Jury war der Auffassung, dass es sich damit um eine sehr aktuelle und wissenschaftlich anspruchsvolle Thematik mit einem verbraucherpolitisch immer wichtiger werdenden Ziel handelt. Die Arbeit zeigt, dass der beste Schutz der Privatsphäre im Cloud Computing nur durch Kooperation erreicht werden kann und entwickelt die dazu notwendigen technischen Infrastrukturen. Es handelt sich um eine praktische Informatikarbeit, die aber auf einem hohen Theorielevel startet. Die Dimension der Verbraucherforschung sah die Jury insbesondere darin, dass die Arbeit sich vorrangig mit privatem Cloud Computing befasst. Beeindruckt hat auch die Einbeziehung auch rechtlicher Problematiken, etwa des einschlägigen Datenschutzrechts, in die Prozesse der entwickelten Werkzeuge. Die Erkenntnis der Arbeit besteht wohl vor allem darin, dass ein abgestufter und transparenter Privatsphärenschutz auch beim Cloud Computing, öfter als vom Nutzer erkennbar, notwendig, aber technisch eben auch möglich ist.