Momentaufnahme einer rasanten Entwicklung

Stand:
Herbert Klemisch bespricht Forschungsergebnisse zur Sharing Economy.

von Dr. Herbert Klemisch (Wissenschaftsladen Bonn)

Cover Digitale Kultur des Teilens  Behrendt Henseling Scholl SpringerBehrendt, Siegfried, Christine Henseling und Gerd Scholl, Hrsg. 2019. Digitale Kultur des Teilens: Mit Sharing nachhaltiger Wirtschaften. Wiesbaden: Springer Gabler.

Umfang X, 233 Seiten | ISBN Print 978-3-658-21434-0 | ISBN E-Book (PDF) 978-3-658-21435-7 | Preis Print: 64,99 EUR | Preis E-Book: 49,99 EUR | Inhaltsverzeichnis

Off

Neue Mietkonzepte, geteilte Autos, Tausch- und Verleihplattformen verändern als Ausprägungen der Sharing Economy die Wirtschaft. Warum noch kaufen, was man für wenig Geld leihen kann? Das Teilen von Gütern zwischen Privatpersonen kann möglicherweise helfen, Ressourcen einzusparen und Menschen zusammenzubringen. Bisher gibt es aber kaum belastbare Daten zu den ökologischen und sozialen Potenzialen der Sharing Economy.

Vorläufige Antworten gibt nun der Sammelband „Digitale Kultur des Teilens – Mit Sharing nachhaltiger Wirtschaften“, der von Forscher*innen des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) und des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) gemeinsam erarbeitet wurde. Die Ergebnisse basieren auf dem gemeinsam durchgeführten Forschungsprojekt „Peer Sharing – Internetgestützte Geschäftsmodelle für gemeinschaftlichen Konsum als Beitrag zum nachhaltigen Wirtschaften“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Nachhaltiges Wirtschaften“ der Sozial-ökologischen Forschung gefördert wurde. Das Projekt hatte eine Laufzeit von Februar 2015 bis April 2018. Die Autor*innen beleuchten innovative Onlineplattformen des Peer-to-Peer-Sharing, die von sozial orientierten Initiativen bis hin zu global agierenden Vermittlungsunternehmen reichen.

Sie thematisieren die Umbrüche, die mit den neuen Geschäftsmodellen verbunden sind und liefern erstmals umfassende Daten zu den Umweltwirkungen der Sharing Economy in Form des Peer-to-Peer-Sharing. Schließlich erörtern sie die Rahmenbedingungen, die eine nachhaltige Sharing Economy und damit verbunden einen nachhaltigen Konsum fördern können.

Aufbau

Der Band gliedert sich in zehn Kapitel. Eingeleitet wird der Band mit einer Begriffs- und Gegenstandsbestimmung des Peer-to-Peer-Sharing. Danach wird eine Übersicht zu den in Deutschland verfügbare Angeboten gegeben. Kapitel 3 stellt die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung des Teilens vor. In Kapitel 4 wird am Beispiel von vier Sharing-Plattformen die Praxis des Teilens vorgestellt. Dies geschieht auf der Basis einer quantitativen Erhebung in den Konsumbereichen Mobilität, Übernachtung und Bekleidung. Kapitel 5 untersucht auf der Basis einer Ökobilanz die ökologischen Auswirkungen des Teilens in den Sektoren. Kapitel 6 befasst sich mit den Geschäftsmodellen der vier Plattformen und untersucht deren Entwicklungsmöglichkeiten nach dem Business Modell Canvas. Kapitel 7 beschreibt am Beispiel des Übernachtens die gesellschaftlichen Anforderungen an die Sharing Modelle. In Kapitel 8 wird ein Trendszenario vorgestellt. Nachdem in Kapitel 9 Fragen der Governance von Sharing-Modellen diskutiert werden, beinhaltet das letzte Kapitel Schlussfolgerungen für Verbraucher*innen, Unternehmen und Politik.

Die Beiträge im Einzelnen

Gerd Scholl klärt im Einleitungskapitel die Begrifflichkeit. Danach steht Peer-to Peer Sharing für die zwischen Privatpersonen geteilte und von Dritten vermittelte Nutzung von materiellen Gütern (S. 11). Verschenken, Tausch, Weiterverkaufen können eine verlängerte Nutzung bewirken. Co-Using, Verleihen und Vermieten stehen für eine intensivere Nutzung, was, so die Arbeitshypothese, zu ökologischen Effekten und zu nachhaltigen Formen des Konsumierens führen könnte.

Christian Flick und Christine Henseling ermitteln auf der Grundlage einer Datenbank bis zum Zeitpunkt 11/2017 im deutschsprachigen Raum 110 aktive Plattformen, von denen 63 in Deutschland gegründet wurden (S.13). Die meisten Plattformen existieren im Bereich Mobilität (40); Gebrauchsgegenstände (31), Apartment- Sharing (20), Kleidung (10) und Ernährung (6) sind ebenfalls verbreitete Formen. Die deutliche Mehrheit der Plattformen ist kommerziell ausgerichtet, deutlich weniger sind gemeinwohlorientiert.

Gerd Scholl und Maike Gossen kommen bei der Auswertung einer repräsentativen Befragung zu dem Ergebnis, dass nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung bisher über eigene Erfahrungen bei der online Vermittlung von Autos oder Unterkünften verfügt und für die Mehrheit das Peer-to-Peer Sharing aus heutiger Sicht noch keine Option darstellt, was jedoch nur eine Momentaufnahme darstellt.

Christine Henseling analysiert die Nutzungsmuster der Plattformen drivy und flinc im Bereich des Car-Sharing sowie Wimdu als Apartment Vermittler und Kleiderkreisel als Kleidertauschbörse auf der Basis einer Befragung von fast 8000 Nutzer*innen. Bei den Carsharing-Plattfomen sind die Nutzer*innen überwiegend männlich (65 Prozent) und im Durchschnitt ca. 40 Jahre alt. Dagegen sind beim Kleiderkreisel die Nutzer*innen überwiegend jung und weiblich (95 Prozent).

Sabrina Ludmann legt eine erste Betrachtung des Peer-to-Peer-Sharing aus ökologischer Sicht vor, auf der Basis einer Lebenszyklusanalyse mit einem Schwerpunkt auf klimarelevanten Indikatoren (S.74). Insgesamt konstatiert die Autorin eine eher schwache Ökobilanz des Teilens. Aber beim Konsum von Gegenständen zeigte sich, dass die Nutzungsintensivierung große ökologische Vorteile hervorrufen kann (S. 92). Der größte Vorteil des Sharing liege darin, den Bedarf an neuen Waren zu verringern und dadurch die Produktionsmenge neuer Güter zu reduzieren. Dabei wurde jedoch nicht untersucht, wie nicht ausgegebenes Geld anderweitig verwendet wurde, sodass finanzielle Rebound-Effekte nur pauschal analysiert werden konnten.

Jan Peuckert und Maike Gossen stellen in ihrer Analyse der gesellschaftlichen Verankerung des Peer-to-Peer-Sharing fest, dass der finanzielle Nutzen für viele im Vordergrund steht. Wer Sharing-Angebote nutzt, interessiert sich bislang nur nachgeordnet für die Umweltwirkungen seines Handelns. Noch weniger geht es den Nutzer*innen und Anbieter*innen beim Teilen um die neuen Möglichkeiten der Begegnung. Stattdessen steht für viele der eigene finanzielle Nutzen im Vordergrund: Geldsparen oder -hinzuverdienen sind die wichtigsten Motive – bis dahin, dass vormalige Freundschaftsdienste durch bezahlte Dienstleistungen abgelöst werden. So kann digitales Teilen auch zu negativen sozialen Effekten führen. In vielen Städten trägt das Apartment-Sharing dazu bei, dass der Wohnraum knapp wird, weil Touristen mehr Einnahmen bringen als eine reguläre Vermietung, sodass von den Möglichkeiten, Wohnraum übers Internet zu teilen, bislang vor allem die Eigentümer profitieren.

Im Abschlusskapitel greifen die Herausgeber*innen die Schlussfolgerung auf, dass die gegenwärtigen Formen von online Plattformen nur zu einer moderaten Umweltentlastung führen (S. 213). So können Mitfahrgelegenheiten zwar potenziell dazu beitragen, dass weniger Autos gekauft werden und so Emissionen verringert werden. Tatsächlich aber wird ein Großteil der ökologischen Potenziale durch Mehrfahrten oder die Verlagerung des Verkehrs von der Schiene auf die Straße zunichte gemacht. „Wenn etwa Kleidungsstücke leichter verfügbar sind, wird mehr konsumiert. Sinkende Preise von Übernachtungen durch Apartment-Sharing können zu mehr Flugreisen und dadurch zu sogenannten Rebound-Effekten führen. Behrendt, Henseling und Scholl geben Praktiker*innen sowie Entscheider*innen aus Wirtschafts- und Nachhaltigkeitspolitik konkrete Tipps. Sie fordern neue politische und rechtliche Regelungen, um nachhaltige Geschäftsmodelle des Teilens zu fördern. Daneben sollten kommerziell erfolgreiche Sharing-Plattformen selbst ökologische und soziale Verantwortung übernehmen und sich an der Formulierung von Nachhaltigkeitsstandards aktiv beteiligen.

Anregung

Aus verbraucherpolitischer Sicht sind diese Appelle an die Selbstregulierung der Sharing-Plattformen allerdings zu kurz gegriffen.Eine Lösung, die leider in dem vorgelegten Band nicht diskutiert wird, ist eine Regulierung der Sharing-Plattformen in Genossenschaftsform. Danach wären die beiden wesentlichen Kriterien die Solidarität, d.h., Plattformen im Besitz der Stakeholder, also der Beschäftigten, der Nutzer*innen, der Genossenschaften und Kommunen sowie eine Umdeutung von Innovation und Effizienz im Sinne des Gemeinwohls (Scholz 2016). Eine so gestaltete Plattform ermöglicht eine digitale Zusammenarbeit auf Augenhöhe, denn die Organisationsform beinhaltet Mitbestimmung und Gewinnbeteiligung für alle involvierten Akteure. Hierzu sollte der Staat unterstützend und regulierend eingreifen, um dem digitalen Kapitalismus Einhalt zu gebieten (Staab 2019).

Fazit

Ein interessantes Buch zur richtigen Zeit. Sicherlich handelt es sich, wie die Autor*innen selber feststellen, nur um eine Momentaufnahme in der rasanten Entwicklung der Plattformökonomie. Klar wird aber vor allen Dingen, dass ökologische Entlastungseffekt nur eintreten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Hierzu gehört u. a. die Verankerung von Verhaltensmustern, ohne die über die Plattformökonomie auch nur schwerlich ein nachhaltiger Konsum umzusetzen sein wird. Der Band ist sehr lesefreundlich aufbereitet, die meisten Beiträge sind verständlich geschrieben und von Struktur und Inhalt solide gearbeitet. Als Zielgruppe gelten Dozierende und Studierende der Betriebswirtschaftslehre, Sozialwissenschaften, Umweltwissenschaften sowie Praktiker*innen im Bereich Sharing Economy und Entscheider*innen aus der Nachhaltigkeits- und Wirtschaftspolitik. Zu wünschen bleibt aber eine Rezeption über diesen Expert*innenkreis hinaus.

Literatur

Scholz, Trebor. 2016. Platform Cooperativism: Challenging the Corporate Sharing Economy. New York: Rosa Luxemburg Stiftung. http://www.rosalux-nyc.org/wp-content/files_mf/scholz_platformcoop_5.9.2016.pdf (Zugriff: 15. April 2020).

Staab, Philipp. 2019. Digitaler Kapitalismus: Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit. Berlin: Suhrkamp Verlag.

Empfohlene Zitierweise | Klemisch, Herbert. 2020. Momentaufnahme einer rasanten Entwicklung (Rezension). Re: Neuerscheinung (Kompetenzzentrum Verbraucherforschung (KVF NRW). 22. Juni. https://www.verbraucherforschung.nrw/aktuell/kvf-re-neuerscheinung/momentaufnahme-einer-rasanten Entwicklung-klemisch-rezension-digitale-kultur-des-teilens-48735.

Die Abbildung des Buchcovers erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Die Rezension gibt die Meinung des Autors wieder und muss nicht mit den Meinungen und Positionen des KVF NRW, der Verbraucherzentrale NRW e. V., des MULNV und des MKW übereinstimmen.